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50-Jahr-Feier

50 Jahre Institut für Theoretische Geodäsie an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

 

Am 30. April 1955 wurde an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn das Institut für Theoretische Geodäsie ins Leben gerufen, als Prof. Wolf zum Direktor dieses Instituts ernannt wurde, siehe Abschrift des Erlasses des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen.

UrkundeUm zu verstehen, warum ein solches Institut an der Landwirtschaftlichen Fakultät geschaffen wurde, muss man mehr als 100 Jahre zurückblicken. Zu der Zeit standen in Deutschland die Arbeiten zur Bestimmung zur Figur der Erde in hoher Blüte. Großräumige Triangulationen überdeckten das Land, und es waren Wissenschaftler wie Bayer, Bruns, Helmert, Jordan und Schreiber, die der deutschen Geodäsie internationales Ansehen verschafften. In der praktischen Vermessung fehlte es dagegen an fundiert ausgebildeten Ingenieuren. Konnte doch ein Feldmesser nach zweijähriger Lehrzeit vor einer staatlichen Prüfungskommission seine Prüfung ablegen, wenn er neben der Lösung praktischer Aufgaben auch Grundkenntnisse in der Mathematik nachwies.

In Preußen kam der Anstoß zur akademischen Ausbildung der Vermessungsingenieure von der Landwirtschaft. In Bonn waren es die kulturtechnischen Kurse, die beginnend mit dem Sommersemester 1876 an der Landwirtschaftlichen Akademie in Poppelsdorf durch Prof. Dünkelberg veranstaltet wurden. Er setzte sich beim Preußischen Landwirtschaftsminister dafür ein, dass die zur Durchführung der ländlichen Umlegungen angestellten Feldmesser diese Kurse besuchen konnten, um ihre Kenntnisse in der angewandten Mathematik, Physik und Mechanik zu vertiefen. Aufgrund der Erfolge dieser Kurse wurde 1880 ein Lehrstuhl für Geodäsie und damit das Geodätische Institut begründet. Prof. Vogler wurde auf diesen Lehrstuhl berufen. Im Jahre 1876 begann also die akademische Ausbildung der Vermessungsingenieure in Bonn, zunächst wie erwähnt an der Landwirtschaftlichen Akademie, die 1919 Landwirtschaftliche Hochschule wurde, die wiederum 1934 als Landwirtschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität angegliedert wurde.

Im Jahre 1890 konnte das Geodätische Institut ein Stockwerk des an der Ecke Mecken-heimer Allee und Nußallee errichteten Neubaus beziehen, der noch heute Institute zur Ausbildung der Vermessungsingenieure beherbergt. Er war, das soll nicht unerwähnt bleiben, mit Rücksicht auf einige Scheunen im Hof, die kurze Zeit später abgerissen wurden, zu weit in die Straßenfront vorgeschoben worden. Außerdem waren Toilettenanlagen vergessen worden, die nachträglich angeflickt werden mussten. Zu Beginn der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren neben dem Geodätischen Institut das Mathematische Seminar, das Photogrammetrische Institut und das Institut für Bau- und Kulturtechnik an der Ausbildung der Vermessungsingenieure beteiligt. Es fehlte an einer Vertiefung in Ausgleichungsrechnung, Erdvermessung und Landesvermessung. Am Institut für Bau- und Kulturtechnik waren der Ordinarius Prof. Schirmer und der Extraordinarius Prof. Gassner tätig. Bei der Emeritierung von Schirmer im Jahre 1954 wurde Gassner Ordinarius, so dass das Extraordinariat frei wurde.

wolf Auf diese Stelle wurde im Jahre 1954 Dr. Wolf vom Institut für Angewandte Geodäsie in Frankfurt a.M. berufen. Räume erhielt er in dem bereits erwähnten Institutsgebäude an der Ecke Meckenheimer Allee und Nußallee. Prof. Wolf war zu dieser Zeit bereits international bekannt. 1950 hatte er durch Neuausgleichung des Europäischen Dreiecksnetzes das "Europäische Datum (ED 50)" geschaffen. Diese Aufgabe wurde unter seiner Leitung innerhalb weniger Jahre bewältigt, obwohl für die Lösung der Normalgleichungen nur eine 4-Spezies Lochkartenmaschine zur Verfügung stand. Alle anderen Berechnungen, insbesondere die Koordinatenberechnungen auf dem Ellipsoid, mussten mit einfachen elektromechanischen Rechenmaschinen unter Nutzung von Tabellenwerken bewältigt werden. In Bonn wurde Wolf die Ausbildung in Ausgleichungsrechnung, Erdmessung und Landesvermessung übertragen. Auf seine Initiative wurde dann am 30. April 1955 zusammen mit der Umwandlung seines Extraordinariats in ein Ordinariat das Institut für Theoretische Geodäsie gegründet. In diesem Institut sollte nach Wolfs Worten "weniger die messtechnisch-experimentelle Seite der Geodäsie als vielmehr die rechnerisch-analytische Auswertung der Ergebnisse der Vermessungsoperationen" behandelt werden, siehe Wolf (1971, S.174). Diese Ausrichtung des Instituts ist bis heute erhalten geblieben. Das von Wolf konzipierte Institut diente bald als Muster für ähnliche Gründungen an anderen Universitäten.

richtfest In den ersten zehn Jahren war die Unterbringung des Instituts im Gebäude Ecke Meckenheimer Allee und Nußallee sehr beengt, erst mit dem Umzug in die zweite Etage des im Jahre 1966 fertiggestellten Neubaus Nußallee 17, nachdem 1964 das Richtfest gefeiert wurde, siehe Einladung, wurden bessere Arbeitsbedingungen geschaffen. Allerdings befindet sich dieser Neubau inzwischen in einem Zustand, in dem die Fassaden einschließlich der Fenster dringend saniert werden müssten, was leider seit 1990 von Jahr zu Jahr verschoben wird.

Die Vorlesungsverpflichtungen von Wolf waren während der ersten Jahre seiner Tätigkeit ganz erheblich. Sie wurden durch Lehraufträge gemildert, der wichtigste war zweifelsohne der von 1957 bis 1965 währende Lehrauftrag über " Physikalisch-geodätische Messmethoden" von Prof. Gigas, Direktor des Instituts für Angewandte Geodäsie in Frankfurt a.M. Wolfs Forschungstätigkeiten in dieser Zeit waren geprägt durch Untersuchungen zur Verbesserung der Ausgleichung des Europäischen Dreiecksnetzes. Von der Internationalen Assoziation für Geodäsie (IAG) wurde bald die Neuausgleichung des Europäischen Dreiecksnetzes (ReTrig) beschlossen. Zunächst sollten die ab Mitte der sechziger Jahre bestimmten Koordinaten der Punkte der Satellitentriangulation einbezogen werden, die später durch Punkte ersetzt wurden, die durch Doppler-Messungen zu Satelliten ermittelt waren. Wolf stellte Überlegungen zur Ausgleichung der Satellitentriangulation und zur Einbeziehung der Doppler-Punkte an und betreute die Neuausgleichung, bis sie 1989 schließlich abgeschlossen werden konnte. Weitere Forschungsprojekte zu Beginn der sechziger Jahre waren die Lotabweichungsinterpolation mit Hilfe von Schwerewerten und topographischer Massen und die Bestimmung von horizontalen und vertikalen Gradienten der Schwerkraft, wozu relative Schweremessungen im Kottenforst und auf dem Rodderberg durchgeführt wurden.

Für diese Untersuchungen und die Auswertungen der Daten war es besonders hilfreich, dass im Jahre 1963 eine IBM-Rechenanlage an der Universität installiert und von den Mitarbeitern des Instituts eifrig benutzt wurde. Im Gebäude der Nußallee 17 wurde daher ein Rechnerraum eingerichtet, der Kartenlocher und Lochkartenschränke beherbergte. Über viele Jahre war das Institut für Theoretische Geodäsie das Institut der Landwirtschaftlichen Fakultät, das die meiste Rechenzeit der Rechenanlage verbrauchte.

Ein weiteres, am Institut bearbeitetes Forschungsthema, das bereits kurz nach Gründung des Instituts durch die Beschaffung eines Gravimeters initiiert wurde, waren die Registrierung und die Analyse der Erdgezeiten, der Änderung der Schwerkraft durch die Anziehung von Mond und Sonne. Ganz besonders widmete sich diesem Thema Dr. Bonatz, der nach seiner Promotion im Jahre 1965 Kustos am Institut wurde. Er übernahm die Vorlesung "Gravimetrie". Er richtete im Keller des Hauses Nußallee 15 eine gravimetrische Registrierstation ein, in der auch Gravimeter geeicht werden konnten. In dem stillgelegten Eisenbahntunnel, dessen Strecke auf die berühmte Brücke von Remagen führte, wurden Horizontalpendel, Vertikalpendel und Extensometer unterschiedlicher Konstruktionen zur Messung der Bewegungen der Erdkruste installiert. Das Studium polnaher und lokaler Einflüsse auf die Erdgezeiten führte Bonatz im Jahre 1969 bis 1970 nach Spitzbergen, 1972 auf die Kerguelen und 1974 auf die Insel La Reunion im Indischen Ozean. Er richtete in den folgenden Jahren an vielen Orten der Erde zur Messung von Gezeitenprofilen gravimetrische Erdgezeitenstationen ein und steigerte die Genauigkeit von Gravimetern durch den Einbau kapazitiver Abgriffe.

Die Vorlesungsverpflichtungen von Wolf konnten reduziert werden, als im Jahre 1970 Dr. Koch nach dreijähriger Forschungstätigkeit in USA nach Bonn zurückkehrte und zum Wisssenschaftlichen Rat und Professor ernannt wurde. Er hatte nach seiner Habilitation im Jahre 1966 das Institut verlassen. Er übernahm die Vorlesungen "Erdmessung", "geodätische Astronomie" und "Statistik". Im Jahre 1970 wurde Dr. Grafarend zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Er war zwei Jahre zuvor von der Technischen Universität Clausthal an das Institut gekommen und blieb bis zum Jahre 1975, als er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Astronomische und Physikalische Geodäsie der Universität der Bundeswehr in München annahm. Er hielt die Vorlesungen "Stochastische Prozesse" und "Einführung in die Geophysik".

bonatz Dr. Bonatz wurde im Jahre 1973 zum Wissenschaftlichen Rat und Professor ernannt. Das Institut für Theoretische Geodäsie setzte sich nun aus Wolfs Lehrstuhl für Theoretische Geodäsie und Kochs Abteilung für Erdmessung sowie aus der Abteilung für Gravimetrie und Erdgezeiten von Bonatz zusammen. Um zusätzliche Möglichkeiten für Veröffentlichungen der Mitarbeiter des Instituts zu schaffen, wurde 1971 die Schriftenreihe "Mitteilungen aus dem Institut für Theoretische Geodäsie der Universität Bonn" herausgebracht, die ab 1986 in "Mitteilungen aus den Geodätischen Instituten der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn" umbenannt wurde. Diese Mit-teilung, die dem fünfzigjährigen Bestehen des Instituts gewidmet ist, trägt die Nr. 92.

In den siebziger Jahren tauchten neben den Ausgleichungsproblemen vermehrt statistische Themen in den Forschungsprojekten des Instituts auf. Da war einmal die Prädiktion und Filterung, auch Kollokation genannt, deren Grundprinzipien und Verallgemeinerungen Geländemodelle von Koch eingesetzt wurde. Hypothesentests in multivariaten Modellen und in Modellen mit nicht vollem Rang wurden für die Deformationsanalyse von Koch untersucht und praktisch angewendet, während Wolf ganz allgemein Hypothesentests im Gauß-Helmert-Modell ableitete. Außerdem widmete man sich der Varianzkomponentenschätzung.

Ein weiteres Forschungsthema waren die geodätischen Randwertaufgaben. 1969 formulierte Koch die geodätische Randwertaufgabe bei bekannter Erdoberfläche und wies 1972 zusammen mit A. Pope die Existenz und die Eindeutigkeit der Lösung nach. Grafarend bearbeitete freie Randwertaufgaben und das schiefachsige Randwertproblem. Schließlich war es noch die dynamische Satellitengeodäsie, die in den siebziger Jahren und auch später Beachtung am Institut fand. Im Jahre 1970 veröffentlichte Koch zusammen mit F. Morrison eine Schwerefeldbestimmung mit Hilfe von optischen Kamerabeobachtungen basierend auf dem Modell der einfachen Schicht für das Schwerepotential. Dieses Modell des Erdschwerefeldes konnte 1971 durch Koch und Witte wesentlich verbessert werden, die Doppler-Beobachtungen zu Satelliten auswerteten. Eine weitere Verbesserung erzielte Koch 1974 durch Einbeziehung zusätzlicher Doppler-Beobachtungen, durch die Hinzunahme der Koordinaten der weltweiten Satelliten-Triangulation und durch die Einführung von Schwereanomalien. Ein Projekt, das viele Jahre am Institut bearbeitet wurde und auf das später noch eingegangen wird, war die Auswertung der Altimetermessungen von Satelliten.

Im Jahre 1978 wurde Wolf emeritiert. Dennoch blieb er dem Institut weiter treu, hielt eine Vorlesung über Beispiele zur Ausgleichungsrechnung und beschäftigte sich mit kombinierter Ausgleichung zwei- und dreidimensionaler Netze, zum Beispiel terrestrischer und Doppler-Netze. Außerdem behandelte er L1-Norm-Schätzungen. Er verstarb im Jahre 1994. Zu seiner Würdigung fand im Januar 1995 ein Gedenkkolloquium statt, bei dem auf sein Leben und sein wissenschaftliches Werk eingegangen wurde.

koch Nach Ablehnung des Rufes auf den Lehrstuhl für Theoretische Geodäsie durch Prof. Sigl aus München wurde 1978 Koch als Nachfolger von Wolf zum ordentlichen Professor und Direktor des Instituts für Theoretische Geodäsie ernannt. Koch übernahm die Vorlesung "Ausgleichungsrechnung", die er in "Ausgleichungsrechnung und Statistik" umbenannte, da er die Ausgleichungsrechnung als eine Methode der statistischen Parameterschätzung darstellte und außerdem die Hypothesentests und Bereichsschätzung behandelte. Um den Studenten den Bruch mit der bislang üblichen Darstellung zu erleichtern, veröffentlichte er 1980 sein Lehrbuch "Parameterschätzung und Hypothesentests in linearen Modellen", das drei Auflagen und in der englischen Übersetzung zwei Auflagen erlebte.

Mitte der siebziger Jahre zeichnete sich das Ende des lästigen Transportes der Lochkarten zum Hochschulrechner ab, als das Institut ein Terminal in Form einer Schreibmaschine mit direktem Anschluss an den Hochschulrechner bekam. Zu dieser Zeit begannen die Rechenzeiten knapp zu werden, so dass 1979 der erste Institutsrechner, ein PDP-11 von Digital Equipment, angeschafft wurde. Über eine Telefonleitung erhielt er Anschluss an den Hochschulrechner. Die ersten Arbeiten mit diesem Rechner galten Untersuchungen, die die ESA für den ERS-1 beauftragt hatte. Die Genauigkeit der ozeanischen Topographie als Funktion der Stabilität der Subsatellitenspuren war zu bestimmen. Es folgten Berechnungen für digitale zweidimensionale Filter und zur Optimierung der Konfiguration geodätischer Netze. In dieser Zeit wurde das Schreibmaschinen-Terminal durch Bildschirm-Terminale ersetzt, und die Mitarbeiter des Instituts erhielten e-mail Adressen. 1984 kamen die ersten PCs ins Institut und 1990 vernetzte Sun-Arbeitsplatzrechner mit UNIX-Betriebssystemen.

Im Jahre 1980 emeritierte Prof. Baitsch vom Institut für Städtebau, Bodenordnung und Kulturtechnik. Die C3-Stelle von Koch konnte gegen die C4-Stelle von Baitsch getauscht werden, so dass 1980 als Nachfolger von Koch Prof. Heitz von der Technischen Universität Berlin-Charlottenburg gewonnen werden konnte. Er war nach seiner Promotion im Jahre 1958 am Institut über die Ingenieurschule für Bauwesen in Essen und das Institut für An-gewandte Geodäsie in Frankfurt a.M. 1972 nach Berlin gekommen. Das Institut besaß damit zwei Lehrstühle, den Lehrstuhl für Theoretische Geodäsie von Koch und den Lehr-stuhl Astronomisch-Physikalische und Mathematische Geodäsie von Heitz mit der Abteilung für Gravimetrie und Erdgezeiten von Bonatz.

heitz

Prof. Heitz übernahm die Vorlesungen "astronomische Geodäsie", "Erdmessung" und "Landesvermessung" und nannte sie "Astronomisch-physikalische Geodäsie" und "mathe-matische Geodäsie". Er legte besonderen Wert auf die mathematischen und physikalischen Grundlagen und veröffentlichte daher 1980 den Band 1 seiner "Mechanik fester Körper mit Anwendungen in Geodäsie, Geophysik und Astronomie". Band 2 folgte 1983 und 1985 sein Buch "Koordinaten auf geodätischen Bezugsflächen", das 1988 ins Engli-sche übersetzt wurde. Er beließ es aber nicht bei mathematischen und physikalischen Grundlagen, sondern widmete sich auch der geodätischen Modellbildung. Die Ergebnisse veröffentlichte er 1990 zusammen mit E. Stöcker-Meier in dem Buch "Grundlagen der physikalischen Geodäsie", das vier Auflagen erlebte.

Die Forschungsthemen in den achtziger Jahren und neunziger Jahren waren äußerst viel-fältig. Bei praktischen Deformationsanalysen wurde festgestellt, dass die statistischen Hypothesentests zu empfindlich reagieren. Es wurden Deformationen an Punkten angezeigt, die aufgrund der Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten nicht existieren konnten. Durch die Bayes-Statistik war es möglich, der Wirklichkeit besser angepasste Hypothesen-tests zu entwickeln. Die Bayes-Statistik konnte auch erfolgreich bei der statistischen Beurteilung von Varianzkomponentenschätzungen und von robusten Schätzungen eingesetzt werden. Außerdem war das Modell der Prädiktion und Filterung zufriedenstellend durch die Bayes-Statistik als Modell mit Vorinformation zu interpretieren. Die Ergebnisse führten zu dem Buch "Bayesian Inference with Geodetic Applications", das Koch 1990 veröffent-lichte. Auch in der digitalen Bildverarbeitung wurde die Bayes-Statistik erfolgreich einge-setzt, so bei der automatischen Bildinterpretation und der Erkennung von Gebäuden in digitalen Bildern.

In der astronomisch-physikalischen und mathematischen Geodäsie ging es ganz allgemein um die Umsetzung physikalischer Theorien in geodätische Modelle. Im einzelnen wurde die Dynamik elastischer Erdkörpermodelle untersucht und die Gezeiten sphärischer Erdkörpermodelle auf der Grundlage finiter Elemente berechnet. Im Anschluss an die Arbeiten der siebziger Jahre formulierte man freie gravimetrische Randwertprobleme. Eine Lösung für die Fahrzeugnavigation als spezielle Anwendung der Trägheitsnavigation wur-de gefunden. Relativistische Modelle der Bewegung künstlicher Erdsatelliten wurden entwickelt und Quantenmaße als Grundlage der geodätischen Messtechnik. In der mathematischen Geodäsie waren es allgemeine differentialgeometrische Untersuchungen zu Koordinaten in der Geodäsie, die im Mittelpunkt der Forschungen standen, wie die Herleitung der Differentialgleichung für die Transformation zwischen beliebigen krummlinigen Koordinaten in flachen und gekrümmten Räumen, die Erzeugung isothermer Flächenkoordinaten und die direkte Lösung der ersten und zweiten Hauptaufgabe in zwei-, drei- und vierdimensionalen Räumen.

In der Satellitengeodäsie wurde die Auswertung von Altimetermessungen vorangetrieben. Durch die Kooperation von Heitz und Koch konnte ein sehr aufwendiges Projekt gestartet werden. Die Ozeanhöhen über dem Geoid wurden durch ein dynamisches Modell dargestellt, das durch Wind angetrieben und den Altimetermessungen durch Schätzung der Anfangswerte angepasst wurde. Aus den altimetrisch bestimmten Höhen über dem Erdellipsoid folgte das Geoid unter Berücksichtigung der Vorinformation über das Schwerefeld. Angewendet auf den Nordatlantik ergab es für das Geoid Ergebnisse, die mit dem Erdschwerefeldmodell EGM96 vergleichbar sind. Eine weltweite Anwendung konnte allerdings wegen des großen Rechenaufwandes nicht realisiert werden.

In der Gravimetrie und der Erdgezeitenforschung lag das Hauptgewicht auf der Kontruktion, Erprobung und dem Einsatz neuer Messsysteme im Rahme geophysikalischer und ingenieurtechnischer Aufgabenstellungen. So wurden zur Erfassung tektonischer Prozesse der Prototyp eines stationären Bohrlochgravimeters entwickelt und Varianten stationärer und mobiler Bohrlochneigungsmesser. Für Sicherheitsüberwachungen wurde ein Messsystem konzipiert, um Deformationen an Talsperrenmauern und an Großbauwerken aufzudecken. Die Auflasteffekte am Pumpspeicherwerk Vianden wurden mit selbstentwickelten Instrumenten beobachtet, um daraus viskoelastische Eigenschaften des Untergrundes abzuleiten.

Im Jahre 1994 wurde Heitz emeritiert. Wegen einer allgemeinen Stellenbesetzungssperre musste er sich noch ein Jahr selbst vertreten. Auch nach seiner Emeritierung hielt ihn die Geodäsie noch weiter gefangen. Er brachte 1998 die dritte Auflage seines Buches Grundlagen der Physikalischen Geodäsie" heraus und ein Jahr später zur Ergänzung ein 5. Kapitel, insbesondere über Statistische Mechanik und Grundlagen der Festkörperphysik. Im Jahre 2002 folgte schließlich die vierte verbesserte und erweiterte Auflage. Weiter beschäftigte er sich mit der Gradiometrie und mit dem Problem der benachbarten Kurven und Flächen.

ilk Im Jahre 1995 wurde Prof. Ilk als Nachfolger von Heitz berufen. Er kam von der Technischen Universität München, wo er als außerplanmäßiger Professor tätig war. Ilk übernahm die Vorlesungen von Heitz und zusätzlich noch die "Physikalischen Grundlagen der Geodäsie". Durch seine Berufung konnten sämtliche Mitarbeiter des Instituts durch vernetzte SUN-Arbeitsplatzrechner unter UNIX-Betriebssystemen mit Anschluss an den Universitätsrechner ausgestattet werden.

Die Forschungsthemen der astronomisch-physikalischen und mathematischen Geodäsie waren einmal die Einrichtung des Normalhöhensystems in der Bundesrepublik Deutschland und zum anderen ganz allgemein die Schaffung eines regionalen und globalen vertikalen Datums. Ein weiteres Arbeitsgebiet war die Schwerefeldbestimmung aus der Fluggravimetrie. Im Zentrum der Arbeiten standen die Methodenentwicklung zur regionalen und globalen Bestimmung des Erdschwerefeldes im Hinblick auf die geplanten Satellitenmissionen CHAMP, GRACE und GOCE, wobei CHAMP und GRACE bereits realisiert sind. Die Satellit- zu Satellit-Beobachtungen von CHAMP, RACE und GOCE und die Gradiometermessungen von GOCE gilt es mit Hilfe von Energie- und Bewegungsintegralen zu analysieren. Die Arbeiten gipfelten in der Ableitung des Erdschwerefeldmodells ITG-CHAMP01, das 2004 aus kinematischen Bögen des CHAMP abgeleitet wurde. Damit gab es nach dreißig Jahren Pause wieder ein Modell des Schwerefeldes der Erde aus Satellitendaten, das von Mitarbeitern des Instituts entwickelt wurde.

Im Jahre 1997 wurde Bonatz emeritiert. Seine Stelle am Institut wurde nicht wieder besetzt, sondern dafür verwendet, eine Professur für Geoinformation zu schaffen. Bonatz blieb nach seiner Emeritierung weiter aktiv, denn er gründete das GeoObservatorium O-dendorf, das er im Keller seines Hauses einrichtete und das er für permanente Beobachtungen der gravimetrischen Gezeiten mit mehreren Gravimetern ausrüstete. Damit wurde sein Beruf zu seinem Hobby. Seine Vorlesungen zur Gravimetrie hielt er noch weiterhin und arbeitete an der Entwicklung von Instrumenten zum Beispiel zur Erfassung der Kinematik im Bereich oberflächennaher Verwerfungslinien, liegt doch das Observatorium nur wenige Kilometer von den Epizentren der Erdbeben von Euskirchen der Jahre 1950 und 1951.

Im Jahre 2000 wurde Koch emeritiert. Auch er blieb weiter aktiv und beschäftigte sich mit der Monte-Carlo-Simulation zur Verallgemeinerung der Bayes-Statistik, dem Gibbs Verfahren zur Berechnung großer Kovarianzmatrizen und zur Fehlerfortpflanzung sowie der Realisierung auf parallelen Rechnern. Außerdem bestimmte er den maximalen Grad der Kugelfunktionsentwicklung eines Schwerefeldmodells.

WD Nachfolger von Koch wurde im Jahr 2000 Prof. Schuh, der von der Technischen Universität Graz kam und dort als außerplanmäßiger Professor tätig war. Durch seine Berufung konnte 2001 ein paralleler Rechner am Institut installiert werden, der aus 15 Knoten, inzwischen 17 Knoten besteht, die durch PCs realisiert werden. Die Arbeitsplatzrechner des Instituts wurden auf das Betriebssystem LINUX umgestellt.

Auch Schuh ist involviert in der Auswertung der Daten der zukünftigen Satellitenmission GOCE. Unter seiner Leitung wird operationelle Software für diese Mission entwickelt. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Hypothesentests bei de Zeitreihenanalyse und Filter-Modelle zur Beschreibung der Korrelation von Messserien. Schließlich werden noch numerische Verfahren der geodätischen Optimierung entwickelt und raumbezogene Information statistisch untersucht.

Die Forschungsthemen des Instituts wurden in vielen Vorträgen, Tagungen und Symposien, zu denen auswärtige und ausländische Wissenschaftler eingeladen waren, diskutiert und vertieft behandelt. Besonders geeignete Diskussionsforen waren die Sitzungen des Arbeitskreises "Theoretische Geodäsie" der Deutschdätischen Kommission und des Arbeitskreises "Geodäsie/Geophysik". Zahlreiche DAAD- und Humboldt-Stipendiaten besuchten das Institut und intensivierten oder begründeten Kooperationen mit ausländischen Hochschulen.

Insgesamt wurden in den vergangenen fünfzig Jahren 82 Doktoranden am Institut betreut. Von diesen Doktoranden waren und sind 34 an Fachhochschulen, Universitäten und Technischen Hochschulen und auch an ausländischen Hochschulen tätig. Als Beispiel sei nur ein Name erwähnt, Prof. Dieter Fritsch, derzeit Rektor der Universität Stuttgart. Viele Doktoranden bekleiden leitende Positionen in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung. Hieraus kann man ermessen, welchen Einfluss das Institut auf die Ausbildung und die Fortentwicklung der Geodäsie in den letzten fünfzig Jahren hatte. Dass das in den nächsten fünfzig Jahren so bleiben möge, sei dem Institut gewünscht.

 

Literatur

  • Deutsche Geodätische Kommission (1962, 1963, ... , 2004): Berichte über die Vollsitzung der Deutschen Geodätischen Kommission, Berichte des Instituts für Theoretische Geodäsie der Universität Bonn. München.

  • Institut für Kartographie und Topographie der Universtät Bonn (1976): 100 Jahre Geodäsie in Bonn.

  • Landwirtschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (1951): 75 Jahre Geodätisch-Kulturtechnische Abteilung der Universität Bonn, 1876-1951.

  • Landwirtschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (1997): Die Landwirtschaftliche Fakultät heute - Lehre und Forschung im Jubiläumsjahr 1997. Schriftenreihe der Landwirtschaftlichen Fakultät, Heft Nr.3, Bonn.

  • Wolf, H. (1971): Das Institut für Theoretische Geodäsie. In "150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1818-1968", Landwirtschaftswissenschaften, S.174-176, Bouvier Verlag, Röhrscheid Verlag, Bonn.

 

 

 

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